Medien: Die Chancen sind mindestens so gross wie die Herausforderungen

  16. September 2017
Medien: Die Chancen sind mindestens so gross wie die Herausforderungen

Rede von Dr. Pietro Supino, Präsident Verband SCHWEIZER MEDIEN, Verleger und VR-Präsident Tamedia AG, am Swiss Media Forum in Luzern. Dieser Beitrag ist in der NZZ vom 16. September 2017 erschienen.

Voraussetzung für den Erfolg von Schweizer Medienhäusern ist die Qualität der journalistischen Angebote. Die richtigen Arbeitsinstrumente und Kompetenzen sind dafür zentral, ebenso Freiräume für Kreativität und für Inhalte.

«Complaining is not a strategy!» Das Zitat des Amazon-Gründers und Neoverlegers der «Washington Post», Jeff Bezos, ist evident. Trotzdem ist es für uns Medienmacher nützlich, die Botschaft zu verinnerlichen. Unser Ziel und unser Anspruch muss es sein, die Zukunft zu gestalten, um ein reiches Medienangebot für die Schweiz zu erhalten.

Bereits zu Jahresbeginn war absehbar, dass die Rückgänge auf dem Anzeigenmarkt sich fortsetzen würden. Der Grund ist nicht, dass Anzeigen in traditionellen Medien kein attraktives Angebot wären. Im Gegenteil, traditionelle Medien bieten ein sehr attraktives Umfeld für Werbung. Aber es gibt unendlich viele und laufend neue Alternativen dazu. Und wenn das Angebot schneller wächst als die Nachfrage, sinken die Preise, oder schlimmer noch: Einzelne Angebote werden weniger genutzt.

Auf uns angewandt, bedeutet dies, dass die Anzeigenumsätze zurückgehen. Wir können unsere Arbeit möglichst gut machen, uns dem globalen Trend aber nicht entziehen. Unsere Branche muss sich darauf einstellen. Allerdings sollte der Staat uns das Leben nicht noch schwerer machen. Die öffentliche SRG und mit ihr Admeira sollten das private Angebot nicht konkurrenzieren und zusätzlich unter Druck setzen. Abgesehen davon, dass die Kommerzialisierung des Service public ein Widerspruch in sich selber ist.

Angebot übersteigt Nachfrage
Auf der Nutzerseite sind wir ebenfalls mit einer fortschreitenden Explosion des Angebots konfrontiert. Noch nie stand den Menschen ein reicheres Medienangebot zur Verfügung. Das Interesse an unseren Inhalten ist grösser als je zuvor. Vielleicht halten wir nicht alle neuen Angebote für intellektuell wertvoll, aber sie werden genutzt, und es findet sich Hervorragendes darunter. Auf alle Fälle übersteigt das Angebotswachstum die Nachfrage.

Trotzdem verfolgten die Verlage in den letzten Jahren eine Strategie der laufenden Preiserhöhungen. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. In Zukunft werden wir für unsere neuen digitalen Angebote tiefere und differenzierte Preisen offerieren müssen.

Die beschriebenen Trends sind die Folge der technologischen Entwicklung und der Globalisierung. Andere Branchen sind ebenso davon betroffen. Wir müssen die Realität akzeptieren. Wir müssen uns auf unsere Stärken konzentrieren. Wir müssen die Kräfte, die unsere Welt verändern, vermehrt auch in unseren Dienst stellen. Ich glaube, das gelingt uns.

Zunächst haben viele Medienhäuser damit begonnen, digitale Bezahlmodelle zu etablieren und damit die Zahlungsbereitschaft für vertiefenden Journalismus zu fördern. Auch wenn wir nach vielen Jahren der Versäumnis erst am Anfang einer sicher langen Lernkurve stehen, zeichnen sich erste Erfolge ab. Zwar werden wir uns mit tieferen Preisen abfinden müssen. Dafür können wir neue Kunden hinzugewinnen. Wichtig ist, dass die SRG diese Entwicklung nicht durch gebührenfinanzierte Gratisangebote gleicher Art unterläuft – das ist mittlerweile von breiten politischen Kreisen erkannt.

Die wichtigste Voraussetzung für unseren künftigen Erfolg ist die Qualität unserer journalistischen Angebote. Wir bemühen uns, die grundlegenden handwerklichen Kriterien zu erfüllen: Fehler vermeiden, Fairness, Transparenz herstellen; wir bemühen uns um Wahrheit im Sinne der Vollständigkeit. Unser Ziel ist es nicht, Meinungen zu machen, sondern wir wollen dazu beitragen, dass die Menschen sich ihre eigenen Meinungen bilden können. Dieser Qualitätsanspruch verschafft uns gegenüber Informationsangeboten aus nicht professionellen Quellen ein Alleinstellungsmerkmal. Die Inhalte kommen zuerst, damit bieten wir in einem zweiten Schritt ein glaubwürdiges und attraktives Umfeld für Werbung.

Die Angebote ausdiffenzieren
Darüber hinaus müssen wir den Mehrwert unserer Angebote weiter steigern, vom investigativen Journalismus über Einordnung und Darstellung bis zur Unterhaltung ausdifferenzieren. Die richtigen Arbeitsinstrumente und Kompetenzen sind dafür genauso wichtig wie Freiräume für Kreativität und für Inhalte, die uns einzigartig machen. Dabei sollten wir uns fragen, was unsere Leserinnen und Leser von uns erwarten und uns daran orientieren. Nicht sklavisch, um Quoten zu bolzen, sondern im Bemühen, Mehrwerte zu schaffen.

Einen besonderen Mehrwert leistet auch die gute alte Zeitung. Bei aller Faszination für die neuen Möglichkeiten der immateriellen Verbreitung bietet eine Zeitung aus Papier weiterhin ein besonderes Lesevergnügen. Kein anderes Medium verschafft effizienter einen fundierten Überblick. Von besonderer Bedeutung sind gedruckte Zeitungen auf der lokalen und regionalen Ebene. Sie bilden mit einer täglichen Leserschaft von dreieinhalb Millionen Menschen das Rückgrat der demokratischen Meinungsbildung in der föderalistischen Schweiz. Darum hat die indirekte Presseförderung weiterhin eine grosse Bedeutung.

Einzig ihre Bezeichnung ist missverständlich. Denn in Wirklichkeit ist es keine Förderung, sondern ein Ausgleich für die hohen Vertriebskosten, welche die Post aufgrund ihrer Monopolstellung verrechnen kann. Bei abnehmenden Mengen werden die Vertriebskosten pro Exemplar sogar noch weiter angehoben. Denn wenn in einer Strasse weniger Zeitungen verteilt werden, sinken die Zustellkosten nicht proportional zur Menge. Das droht die wirtschaftliche Tragfähigkeit der gedruckten Zeitung als Gattung zu gefährden.

Um dem entgegenzuwirken, fordert der Verlegerverband, dass die Zeitungszustellung als Service public zu den effektiven Grenzkosten erfolgt, die der Post daraus entstehen. Anders gesagt: Was die Post mit dem Zeitungsvertrieb verdient, sollte nicht zur Finanzierung ihres Grundversorgungsauftrags beitragen müssen. Sondern es müsste im Interesse der Zeitung lesenden Bürgerinnen und Bürger für stabile Posttarife – und damit stabile Abonnementspreise – eingesetzt werden.

Zurück zur Qualität in den Medien. Neben den Anstrengungen in den einzelnen Häusern kommt der Aus- und Weiterbildung von Medienschaffenden eine grosse Bedeutung zu. Zudem braucht es in Zeiten des medialen Überflusses eine bessere Bildung und grössere Sensibilisierung der Bevölkerung in Bezug auf ihre Medienkompetenz. Dazu kann die öffentliche Hand namentlich im Rahmen des Schulsystems und der Lehrerausbildung beitragen. Natürlich sollen die Menschen ihre Mediennutzung in uneingeschränkter Freiheit bestimmen können, aber es ist gerade um ihrer Freiheit willen wichtig, dass sie die Zusammenhänge verstehen, die hinter den unterschiedlichen Angeboten stehen.

Qualität und Vielfalt
Aber wie soll die Qualität unserer Angebote gesichert und gesteigert werden, wenn weniger Mittel dafür zur Verfügung stehen?

Erstens gibt es auch nach Jahren der betrieblichen Anpassungen weiterhin zahlreiche Möglichkeiten, zu fokussieren und die Kräfte innerhalb der einzelnen Häuser oder im Rahmen partnerschaftlicher Kooperationen zu bündeln. Dabei besteht allerdings ein Dilemma zwischen inhaltlicher Qualität und Vielfalt der Leistungen. Belässt man die Vielfalt, stehen für die Produktion der einzelnen Titel weniger Ressourcen zur Verfügung. Bündelt man die Ressourcen, leidet die Vielfalt. Ich meine: In diesem Dilemma müssen wir tendenziell zugunsten der Qualität entscheiden. Nur schlagkräftige, mit genügend Ressourcen ausgestattete Medien können ihre staatspolitische Kontrollfunktion wahrnehmen.

Natürlich empfiehlt sich eine Bündelung der Kräfte vor allem in jenen Gebieten, wo die Vielfalt gross ist. Also eher auf internationaler und nationaler und weniger auf regionaler und lokaler Ebene. In der regionalen und lokalen Berichterstattung bietet sich in unserem kleinräumigen Land hingegen die einzigartige Chance, unser Angebot bei der Leserschaft zu verankern.

Die zweite Stossrichtung betrifft die technologische Entwicklung, deren Möglichkeiten wir noch besser nutzen können. Der Datenjournalismus erlaubt eine enorme Bereicherung des Handwerks vom Erkennen über die Vertiefung bis zur Darstellung von Fakten.

Heute können wir Datenmengen analysieren, die früher die grössten Redaktionen der Welt überfordert hätten. Daten helfen auch, die Bedürfnisse der Nutzer zu verstehen und gestützt auf die Erkenntnisse unsere Angebote zu verbessern, neue Angebote zu entwickeln und zu vermarkten. Auch für die Anzeigenkunden können wir durch den Einsatz von Daten die Qualität unserer Leistungen verbessern und neue Angebote entwickeln. Darüber hinaus können wir durch Nutzung neuer Möglichkeiten der artifiziellen Intelligenz in fast allen Bereichen besser und effizienter werden und sogar einzelne Arbeitsabläufe automatisieren.

Verschiedenste Aspekte der Technologie sind auch entscheidend für die Qualität der Nutzererlebnisse, die auf den digitalen Kanälen immer wichtiger sind.

Kein Heimatschutz
Als Hersteller von Druckerzeugnissen waren wir schon früher Pioniere der Technologie. Die Digitalisierung bietet uns die Möglichkeit, die Vorteile der Technologie noch viel umfassender zu nutzen. Darum freue ich mich ganz besonders, dass der Verlegerverband Schweizer Medien zu den Förderern der Initiative für die Schaffung einer Professur und eines Zentrums für Medientechnologie an der ETH Zürich gehört und diese namhaft unterstützt.

Wir stehen mitten in grossen Umwälzungen. Keine Form von Heimatschutz wird etwas daran ändern. Die erwähnten Rahmenbedingungen sind überlebenswichtig. Subventionen hingegen, wie einige Parteien sie nun fordern, wären gefährlich für die Unabhängigkeit und Freiheit der Medien. Wenn Medien einen grossen Teil ihrer Einnahmen vom Staat bekämen, wären sie automatisch weniger kritisch gegenüber diesem Staat, als Geldgeber und System. Das wäre aus demokratiepolitischer Sicht fatal.

In Anlehnung an das Böckenförde-Diktum ist der freiheitliche demokratische Staat bezüglich des Medienangebots auf Voraussetzungen angewiesen, die er nicht selber schaffen kann. Es ist der Kern unserer verlegerischen Verantwortung, zu diesen Voraussetzungen beizutragen. Mit diesem Bewusstsein und mit Unternehmergeist können wir sie in die Zukunft tragen, wie wir sie bisher mit Stolz wahrgenommen haben. Die Chancen sind mindestens so gross wie die Herausforderungen.

Weitere Videos zum SwissMediaForum 2017 finden Sie hier.

Das SwissMediaForum 2018 findet am 27. / 28. September 2018 statt.