Dreikönigstagung 2018: Begrüssung des VSM-Präsidenten Dr. Pietro Supino

  10. Januar 2018
Dreikönigstagung 2018: Begrüssung des VSM-Präsidenten Dr. Pietro Supino

Bun di bun an sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Wir leben in einer merkwürdigen Zeitung.“

Ignaz Staub, der Ombudsmann von Tamedia, hat dieses Zitat von Kurt Tucholsky aus dem jahr 1931 in seine Neujahrsgrüsse aufgenommen. Die Umstände vor fast einem Jahrhundert waren natürlich ganz andere als heute, aber die Worte passen auch gut zu unseren bewegten Zeiten.

Wenn ich an den Journalismus und an unsere Medienhäuser denke, würde ich ergebnisoffen aber positiver formulieren:

„Wir leben in einer interessanten Zeitung“.

Wenn ich an die Medienpolitik denke – und davon handelt die Eröffnungsrede des Verlegerpräsidenten zur Dreikönigstagung  traditionsgemäss – dann scheint mir „merkwürdig“ recht passend.

Allerdings erweckt das Wort den Eindruck einer Beschreibung aus Distanz. Tatsächlich zeichnen sich aber die meisten Stimmen in der Medienpolitik durch eine grosse Nähe oder anders gesagt durch starke Eigeninteressen aus.

Daran ist an sich nichts auszusetzen, vielleicht ist es sogar normal.

Nicht normal und auch nicht ehrlich scheint mir jedoch, dass im Diskurs fast ausschliesslich höhere Interessen wie das Funktionieren der Demokratie und der Zusammenhalt des Landes als die hauptsächliche Motivation der Akteure angeführt werden.

Denn in der Medienpolitik und im Mediengeschäft, bei der Vertretung von Arbeitergeber- und Arbeitnehmerinteressen und mitunter auf Redaktionen geht es massgeblich auch um Einfluss und Deutungshoheit oder mit anderen Worten um politische Macht, um Positionen und Pfründen, um finanzielle Interessen und um Eitelkeiten.

Es wäre ein Gewinn, wenn der Diskurs transparenter und mit mehr inhaltlicher Substanz geführt würde. Es wäre auch nachhaltiger, weil aufmerksame Beobachter das Spiel durchschauen, es tatsächlich als „merkwürdig“ empfinden und die Glaubwürdigkeit der Akteure, letztlich des gesamten Mediensystems darunter leidet.

Das grundlegende Interesse der Verleger ist es, einen Beitrag zur Information und zur freien Meinungsbildung der Bevölkerung zu leisten und damit ein gutes Geschäft zu machen. Dabei ist das gute Geschäft über den unbestrittenen Eigennutz hinaus von Bedeutung.

Denn die Aussicht auf ein gutes Geschäft ist eine Voraussetzung für die Bereitschaft zur Investition, für die Schaffung guter Arbeitsbedingungen und damit für die Leistung von Medienqualität im Interesse einer lebendigen Demokratie, wie wir sie in der Schweiz kennen.

Diese Medienqualität ist wiederum eine unabdingbare Voraussetzung für einen nachhaltigen unternehmerischen Erfolg, den wir -  jeder auf seine Art - anstreben und wofür die meisten von uns einen langjährigen Leistungsausweis vorweisen können.

Der nachhaltige unternehmerische Erfolg im Mediengeschäft und speziell im Geschäft mit Massenmedien beruht am Ende auf dem Vertrauen des Publikums. Es kann über diesen Mechanismus sicherstellen, dass das Mediensystem nicht von Eigeninteressen geleitet wird, sondern sich am Interesse der Öffentlichkeit orientiert, die es herstellt.

Wir sollten als Medienmacher unser Publikum und die Politik samt der Verwaltung sollte die Bevölkerung nicht unterschätzen – jedenfalls nicht in der langfristigen Perspektive.

Im Gegenteil sollten wir darin überstimmen, dass die Medienkompetenz der Menschen die absolute medienpolitische Priorität sein muss. In einer freien und aufgeklärten Gesellschaft sollten die Menschen das Medienangebot bestimmen - durch ihre bewussten Wahlen, durch ihre Nachfrage in Form der Summe ihrer individuellen Mediennutzung.

Das ist besser, als wenn übergeordnete Instanzen über das richtige Medienangebot entscheiden. Aber es setzt voraus, dass die Menschen über Grundkenntnisse verfügen, wie Medien funktionieren, damit sie Qualität erkennen und bewusste und freie Entscheidungen treffen können. Nur wenn Bürgerinnen und Bürger die Qualitäten der Angebote beurteilen können, werden sie auch bereit sein, dafür zu bezahlen.

Die Förderung der Medienkompetenz ist die wichtigste und die nobelste aller denkbaren medienpolitischen Massnahmen. Es sollten sich in diesem Punkt alle einig sein, und es sollte viel Energie in diese Stossrichtung fliessen. Das ist aber leider noch nicht der Fall.

Um nicht an der Oberfläche zu bleiben, möchte ich vertiefen, worum es mir geht. Ich meine mit Medienkompetenz im vorliegenden Zusammenhang nicht den Umgang von Jugendlichen mit dem Internet und neuen Medien im Sinne von Jugendmedienschutz, wofür etwa Pro Juventute praktische Hilfestellungen bietet.

Sondern es geht mir vor allem um die Rolle der Medien in der politischen Meinungsbildung. Damit ist neben dem Mediensystem das politische System angesprochen. Ein Verständnis darüber ist nur gesamtheitlich möglich, und es setzt ein gesamtheitliches Interesse voraus.

Der erste Schritt zur Medienkompetenz setzt also ein Interesse für das politische System und für das Mediensystem und die Wechselwirkungen zwischen den beiden voraus. Dieses Interesse zu wecken und zu kultivieren ist genauso Aufgabe der Medien selber wie der Erziehung und der Ausbildung, namentlich an den Schulen.

Der zweite Schritt zur Medienkompetenz ist zu verstehen, welche unterschiedlichen Quellen und Medienangebote es gibt, wie sie entstehen, welche Mehrwerte sie leisten und nach welchen Qualitätskriterien sie beurteilt werden können.

Der Lehrplan 21 sieht als Ziel vor, dass Schülerinnen und Schüler sich in medialen Lebensräumen orientieren können, dass sie Medien und Medienbeiträge entschlüsseln, reflektieren und nutzen können, dass sie Gedanken, Meinungen, Erfahrungen und Wissen in Medienbeiträgen umsetzen und auch veröffentlichen können und schliesslich, dass sie Medien interaktiv nutzen sowie mit anderen kommunizieren und kooperieren können.

Die deutschsprachige Literatur zum Thema liest sich ziemlich kompliziert. Das dient der Sache nicht. Wir sollten das Thema der Medienkompetenz so einfach und praktisch wie möglich halten.

Wie gesagt, geht es darum, welche unterschiedlichen Quellen und Medienangebote es gibt, wie sie entstehen, welche Mehrwerte sie leisten und nach welchen Qualitätskriterien sie beurteilt werden können.

Das ist keine einfache Materie. Es ist aber auch keine Raketenphysik. Vor allem ist es eine spannende Thematik, die einen Blick in unsere faszinierende Medienwelt erlaubt. Entsprechend praxisnah und durchaus auch spielerisch sollte sie angegangen werden.

Schülerzeitungen, ob gedruckt oder digital publiziert, bieten hervorragende Möglichkeiten die Medienkompetenz und dazu viele weitere Fähigkeiten in einem kreativen Rahmen zu entwickeln. Natürlich ist aber der strukturierte Unterricht für eine umfassende Auseinandersetzung mit der Thematik unerlässlich.

Es schiene mir viel verlangt, wenn Lehrerinnen und Lehrer neben ihrer pädagogischen Aufgabe und vertieften Kenntnissen in den schulischen Grundfächern auch noch Informatik- und Medienspezialisten werden müssten. Deshalb schlage ich vor, dass Medienkompetenz zusammen mit Medienschaffenden aus der Praxis unterrichtet und mit ihnen so viele Medienhäuser wie möglich besucht werden sollten. Unsere Türen stehen offen, und ich kann mir gut vorstellen, Wege zu finden, um Journalistinnen und Journalisten dafür zur Verfügung zu stellen.

Das Thema der Medienkompetenz ist eine gemeinsame Aufgabe allen voran der Bildungsinstitutionen, der Politik und aller Medien, ob privat oder öffentlich-rechtlich, gedruckt, über Radio, Fernsehen oder andere Plattformen verbreitet.

Wozu ich heute aufrufen möchte, ist der Medienkompetenz die höchste medienpolitische Priorität einzuräumen und einen runden Tisch zu bilden, um ihr gemeinsam zum  gebührenden Stellenwert zu verhelfen.

Wir müssen damit leben, dass die Zukunft ungewiss ist. Wenn ich aber in einem Punkt absolut sicher bin, ist es, dass die Medienkompetenz der Bevölkerung der entscheidende medienpolitische Einflussfaktor für die Qualitäten der Medien der Zukunft sein wird.

Darum sollten wir an dieser Stelle nicht sparen. Die Kosten für die Lehrerausbildung, die Lehrmittel, den Unterricht und attraktive Rahmenprogramme wären im Vergleich zu anderen diskutierten Fördermassnahmen sehr gut investiertes Geld. Es handelt sich um eine langfristige Investition, die sich lohnen wird.

Ebenfalls langfristig ausgerichtet und losgelöst von Partikularinteressen sind die Aus- und Weiterbildung von Medienschaffenden und die Forschung auf dem Bereich der Medientechnologie.

Bei der Aus- und Weiterbildung dürfen wir mit Stolz auf eine lange Tradition zurückblicken und feststellen, dass wir in der Schweiz sehr gut aufgestellt sind.

Das ist wichtig, weil wir in der Medienbranche sehr direkt von den Auswirkungen des technologischen Wandels und der Globalisierung  betroffen sind. 

Wenn etablierte Prozesse und Geschäftsmodelle grundsätzlich hinterfragt werden müssen, ist Wissen wichtig umso wichtiger,  ein solides Savoir-faire und gut ausgebildete Mitarbeiter.

Der VSM investiert für seine Mitglieder in Bildung. Wir unterstützen seit vielen Jahren zusammen mit anderen Fachverbänden die Branchenausbildung von Lernenden. Die Journalisten-Ausbildung ist beim MAZ in guten Händen, zu dessen Trägern unser Verband gehört.

Die Kurse für Verlags- und Medienfachleute, welche das Medieninstitut in den letzten Jahren durchgeführt hat, wurden neu konzipiert.  Sie werden in Zukunft mit dem MAZ und der Fachhochschule Nordwest in Olten, zwei anerkannten Bildungsinstitutionen, in Kooperation durchgeführt.

Mehr Informationen dazu finden sie auf der Website unseres Verbands oder im Flyer, der zusammen mit den Tagungsunterlagen abgegeben wird.

Neuland betreten wir auf dem Gebiet der Forschung, namentlich mit der Initiative zur Schaffung eines Lehrstuhls und Zentrums für Medientechnologie an der ETH Zürich.

Sie soll Wissen zur Medienentwicklung hervorbringen, den Medienstandort Schweiz stärken, international ausstrahlen und Perspektiven aufzeigen - sowohl für die Medienbranche im Bereich neuer Technologien und Anwendungen als auch für Studienabgänger in der Medienbranche.

Weitere Kooperationen laufen auf Branchenebene und bilateral mit der EPFL, mit verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen. Ein ist ein reiches Netz am Entstehen, das helfen wird, die Herausforderungen der unabwendbaren Veränderungen zu bewältigen.

Als Medienbranche profitieren wir von den Stärken des Bildungs- und Forschungsstandorts Schweiz. Wenn in Zukunft zusätzliche Mittel in die Medienförderung investiert werden können, sollte der Schwerpunkt bei der Medienkompetenz und bei Forschung liegen und nicht bei neue Modellen der direkten Medienförderung, die nur wenigen Auserwählten dienen und zu kontraproduktiven Marktverzerrungen führen würden.

Aus Zeitgründen verzichte ich heute für einmal, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf die Wiedergabe der medienpolitischen Forderungen des Verlegerverbands Schweizer Medien.

Es hat sich daran nichts geändert. Ich vertraue darauf, dass unser Manifest bekannt ist und hoffe, dass es auch nachvollziehbar ist und ihre Unterstützung geniesst.

Unabhängig vom letzten Punkt wünsche ich Ihnen allen viel Glück und Erfolg im neuen Jahr. Wir leben in einer sehr interessanten Zeitung - machen wir das Beste daraus!

Ich danke Ihnen für Ihre Verbundenheit und für Ihre Aufmerksamkeit!

 

9. Januar 2018

Pietro Supino
Präsident Schweizer Medien

 

Bei Fragen oder Anregungen wenden Sie sich bitte an die Geschäftsstelle Verband SCHWEIZER MEDIEN unter Tel. 044 318 64 64 oder per E-Mail: contact@schweizermedien.ch. Besten Dank.

 

Bildquelle: Gaëtan Bally / KEYSTONE