Die neuste Pisa-Studie zeigt, dass 15-Jährige immer weniger zwischen Fakten und Meinungen unterscheiden können. Das ist ein Alarmzeichen.
Erich Aschwanden
Hört man den Begriff Schülervergleich, denken wahrscheinlich viele noch an herkömmliche Tests, bei denen Fragebogen mit Bleistift ausgefüllt oder lange Texte abgeliefert werden müssen. Beim «Programme for International Student Assessment», besser bekannt unter dem Kürzel Pisa, ist das nicht mehr der Fall. Seit 2015 findet die gesamte Befragung online statt. So mussten die 15-jährigen Schülerinnen und Schüler im Fachbereich Lesen beispielsweise einen Online-Chat auf dessen Inhalt analysieren. Unter anderem galt es die Frage zu beantworten, welche Beiträge für den User nützlich sind oder bei welchen Posts es sich um Werbung handelt. Es waren also Kompetenzen gefragt, die im Alltagsleben der Jugendlichen eine entscheidende Rolle spielen.
Gemäss den am Dienstag veröffentlichten Ergebnissen schneiden Schweizer Jugendliche im Umgang mit solchen digitalen Textquellen nur im Mittelfeld ab. Nachdenklich stimmt, dass die Anzahl jener Schülerinnen und Schüler zunimmt, die beim Lesen nicht kompetent genug sind, um Herausforderungen im Alltag oder Berufsleben bewältigen zu können. Ausserdem konnte im OECD-Durchschnitt bei der Analyse von Textquellen weniger als einer von zehn Jugendlichen zwischen Fakt und Meinung unterscheiden. Bei den Jugendlichen aus der Schweiz sieht es leider nicht besser aus, was der Lehrerinnen- und Lehrerverband zu Recht als bedenklich bezeichnet.
Herausforderung für Lehrer
Lesekompetenz wird immer mehr zur Medienkompetenz, werden doch die in der Ausbildung vermittelten Fähigkeiten immer weniger über Bücher und immer mehr durch Tablets und Smartphones gelehrt. Neben dem Elternhaus, wo der Umgang mit den modernen Medien ein Dauerthema ist, kommt den Schulen in diesem Bereich eine zentrale Rolle zu. Medienbildung ist heutzutage eine Kulturtechnik, die im Schulzimmer gelehrt werden muss, ebenso wie dies bei Lesen, Schreiben und Rechnen seit langem der Fall ist.
Für Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulleitungen ist das eine grosse Herausforderung. Sie müssen sich aktiv damit auseinandersetzen, wie digitale Medien nutzbringend im Unterricht eingesetzt werden können. Sie müssen den Jugendlichen aufzeigen, welche Chancen und Risiken bestehen und wie Krisen, wie etwa Cybermobbing gegen Schüler, bewältigt werden können. Erschwert wird diese Aufgabe durch die Tatsache, dass diese Kompetenzen häufig von Personen vermittelt werden, die noch im analogen Zeitalter sozialisiert wurden. Sie sollen Kindern Kompetenzen vermitteln, die teilweise schon mit 10 Jahren ihr erstes Smartphone erhalten haben. In diesem Bereich ist von den Lehrpersonen selbst viel Lernbereitschaft erforderlich.
Im Vergleich zu früher stehen den Jugendlichen während des Unterrichts und in der Freizeit viel mehr Informationen zur Verfügung. Gleichzeitig fehlt ihnen die Kompetenz, diese Flut an Informationen einzuordnen. Einen Hoffnungsschimmer gibt es in der diesjährigen Pisa-Studie immerhin: Sowohl in der Schweiz wie auch in allen Vergleichsländern schneiden die Schüler bei Leseaufgaben, die Textkomplexe enthalten, besser ab als bei solchen, die auf Einzeltexten basieren. Das ist insofern eine positive Botschaft, als die Jugendlichen offenbar Fähigkeiten entwickeln, die über das reine Lesen und Verstehen hinausgehen, gerade wenn es darum geht, die Glaubwürdigkeit von Texten zu beurteilen oder widersprüchliche Informationen aus mehreren Quellen zu beurteilen. Allerdings verläuft dieser Prozess in Richtung vernetztes Denken nur langsam. Es gilt daher, die entsprechenden Techniken im Unterricht vermehrt gezielt zu fördern.
Quelle: NZZ-Online, 3. Dezember 2019