Jahrelang wurde ein Ausbau der Presseförderung verzögert, weil dafür keine Verfassungsgrundlage bestehe. Nun kommt ein Gutachten zu einem gegenteiligen Schluss.
Artikel aus der "Südostschweiz" vom 27.03.2019
Verschiedene Umfragen und Untersuchungen bestätigen die tragende Rolle der Zeitungen bei der demokratischen Meinungsbildung. Über politische Themen informieren sich noch immer sehr viele Leute via Presse; 90 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger benutzen gemäss der Abstimmungsumfrage Voto regelmässig die Zeitung, um sich vor dem Urnengang eine Meinung zu bilden.
Trotz dieser Befunde ist die Lage der Presse in der Schweiz dramatisch. Das liegt nicht am mangelnden Interesse der Zeitungsleser – die Auflagezahlen bröckeln zwar etwas, aber die Leserzahlen sind seit Jahren stabil – als vielmehr am Verhalten der Werbewirtschaft, die in Teilen fast völlig zu den elektronischen Medien und ins Internet abgewandert ist. Seit dem Jahr 2007 haben sich die Werbeumsätze der Schweizer Zeitungen um sage und schreibe 70 Prozent verringert. Allein in diesem Januar hat sich der Werbemarkt gegenüber dem Vorjahresmonat bei der Schweizer Tagespresse um zwölf und bei der Sonntagspresse um 19 Prozent zurückgebildet.
Alarmstimmung
Diese Entwicklung ruft zunehmend Politiker auf den Plan, die nicht zuschauen wollen, wie sich für die Demokratie wichtige Medien in Selbstauflösung befinden. An einem vom Verlegerverband letzte Woche organisierten Treffen mit Parlamentariern in Bern herrschte Alarmstimmung, zumal just am Vortag bekanntgeworden war, dass die Sonntagsausgaben der Tageszeitung in Luzern und jener in St. Gallen eingestellt werden.
Nur die SVP ist noch der Meinung, dass der Markt die Angelegenheit regulieren muss und Staatseingriffe zugunsten der Presse nicht angezeigt sind. Bei allen anderen Parteien setzt sich die Einsicht durch, dass die Information der Bevölkerung in einer direkten Demokratie ein zu hohes Gut ist, als dass man es einfach den Marktkräften überlassen könnte. Sowohl im Ständerat wie auch im Nationalrat wurden deshalb von Parlamentariern der SP und von bürgerlichen Parteien Vorstösse eingereicht, welche eine Aufstockung der indirekten Presseförderung verlangen.
Aus dem Gebührentopf?
Als indirekte Presseförderung wird jene bezeichnet, welche die Post verpflichtet, die Zeitungszustellung zu günstigen Tarifen zu gewährleisten. Zur Zeit bezahlt der Bund der Post für diese Vergünstigung 30 Millionen Franken pro Jahr. Die Vorstösse verlangen eine Aufstockung auf 120 Millionen und der Einbezug der Frühzustellung der Zeitungen. Dadurch würde der Zeitungsvertrieb stark verbilligt und die Verleger könnten die freiwerdenden Mittel in die Entwicklung digitaler Zeitungsmodelle stecken. Vor allem kleinere Verlage haben heute kaum Mittel, um ins Digitale zu investieren.
Doch diese Hilfe für die Verleger ist rechtlich umstritten. Theoretisch könnten die Mittel aus der Bundeskasse kommen, doch das Parlament will sparen. Deshalb regen einige Parlamentarier an, den Weg über die Gebührengelder für Radio und Fernsehen zu beschreiten. Der Überschuss dieser Abgabe könnte zugunsten der Postzustellung verwendet werden, die SRG-Gelder selbst wären nicht betroffen. Seit Jahren stellt sich aber der Bundesrat auf den Standpunkt, der Radio- und Fernsehartikel in der Bundesverfassung (Art. 93) beziehe sich nur auf die elektronischen Medien und lasse keine Presseförderung zu. Insbesondere das Bundesamt für Justiz mit seinem Direktor Martin Dumermuth ist eine Verfechterin dieser Haltung.
Gutachten: Es geht
Nun kommt aber ein Gutachten des bekannten Zürcher Staats-, Verfassungs- und Medienrechtsprofessors Urs Saxer zu einem gegenteiligen Schluss. Saxer beruft sich auf den 4. Absatz des Radio- und TV-Artikels in der Bundesverfassung. Dieser hält fest, dass bei der Gestaltung des Rundfunkbereichs auf die Stellung der Presse Rücksicht zu nehmen ist. Der Gesetzgeber wollte damals verhindern, dass die gebührenfinanzierte SRG die privatwirtschaftliche Presse zu stark konkurrenziert.
Saxer meint nun, dieses gleichsam passive Rücksichtnahmegebot lasse bei einer modernen Auslegung der Verfassung und angesichts der Probleme der Presse auch eine quasi aktive Schutzinterpretation zu. Dergemäss könnte der Bund auch Gelder aus dem Gebührentopf für die Förderung der Presse entnehmen. Die Frage bleibt, ob dieser professorale Befund an der skeptischen Haltung von Bundesrat und Parlament etwas ändert.
Neuer Medienartikel?
Fünf weitere Parlamentarier möchten die Presseförderung grundlegend angehen und verlangen deshalb mit Vorstössen eine neue Fassung von Art. 93. In diesem sollen die Worte «Radio und Fernsehen» durch «Medien» ersetzt werden. Damit entstünde ein allgemeiner Medienartikel in der Bundesverfassung, der natürlich auch Presseförderung zuliesse.
Doch bis eine Verfassungsänderung in trockenen Tüchern ist, dauert es Jahre. Die meisten Parlamentarier wollen jetzt Dampf machen und die indirekte Förderung mittels Posttaxen dringlich an die Hand nehmen.
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Verfassungsgrundlagen einer Presseförderung, insb. der indirekten Presseförderung und deren Finanzierung, Kurzgutachten, Prof. Dr. iur. Urs Saxer, Rechtsanwalt LL.M. (18.03.19)