Wie Experten einen Kommissionsentscheid kippten

  15. Juli 2019

Urheberrecht: Für den Gesetzgebungsprozess kann es entscheidend sein, welche Fachleute beigezogen werden. Ein Fallbeispiel.

Quelle: Daniel Foppa, Tagesanzeiger vom 11.07.2019

In Deutschland demonstrieren Zehntausende dagegen, in der Schweiz wird seit Jahren darum gerungen: Die Revision des Urheberrechts bewegt die Gemüter. Während die EU ihr Gesetz nun in Kraft gesetzt hat, neigt sich die parlamentarische Beratung in der Schweiz dem Ende zu. Letzte Woche hat die zuständige Nationalratskommission mehrere Differenzen zum Ständerat ausgeräumt. Was bleibt, ist Uneinigkeit darüber, ob man TV- und Radiogeräte in Hotels von Urheberrechtsabgaben befreien soll.

Der Streit um das Urheberrecht dreht sich im Kern um die Frage: Wie stark sollen Künstler und Journalisten im Internetzeitalter für ihre Werke entschädigt werden? Die EU entschied sich für ein restriktives Urheberrecht. So werden Plattformen wie Google oder Youtube verpflichtet, Urheberrechtsverletzungen zu verhindern. Um dies zu erfüllen, müssen sie voraussichtlich Uploadfilter einsetzen – umstrittene Programme, die hochgeladene Dateien nach geschützten Inhalten absuchen und diese gegebenenfalls blockieren.

Bemerkenswerte Wende
Weiter sieht die EU ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage vor: Damit müssen Suchmaschinen wie Google News für das Anzeigen von Textanrissen Geld an die Verlage zahlen. Über eine solche Vergütung ist auch in der Schweiz debattiert worden. Verleger und Mediengewerkschaften warben für ein Leistungsschutzrecht, Google und Netzaktivisten lehnten es ab. Bemerkenswert war das Verhalten der zuständigen Ständeratskommission: Im Frühling sprach sie sich für ein Leistungsschutzrecht aus – vollzog dann aber eine Wende und kippte die Bestimmung schliesslich aus dem Gesetz.

Wie kam es dazu? Kommissionspräsident Ruedi Noser (FDP) sagt, man habe beide Seiten angehört: den Berufsverband der Medienschaffenden und die Verleger auf der einen Seite, die Gruppe «Digitale Gesellschaft» und Google-Vertreter auf der anderen Seite. Ausschlaggebend, so ist zu hören, seien letztlich aber die Argumente zweier Experten gewesen, die die Kommission zusätzlich eingeladen hatte.

Nun ist es gängige Praxis, dass Kommissionen Experten beiziehen. Dabei wird in der Regel darauf geachtet, dass die Fachleute unabhängig sind und nicht einem der zuvor angehörten Interessengruppen angehören. Oder es werden von beiden Lagern Experten eingeladen. Beim Leistungsschutzrecht wurde diese Praxis jedoch nicht eingehalten.

Angehört hat die Kommission Florent Thouvenin, Professor für Informations- und Kommunikationsrecht an der Universität Zürich, sowie Willi Egloff, Anwalt und Urheberrechtsspezialist aus Bern. Beide sind klare Gegner des Leistungsschutzrechts. Als «wirren Vorschlag mit rätselhaften Formulierungen» bezeichnete Egloff das Leistungsschutzrecht in einem im März erschienenen Beitrag für die «Medienwoche». Und Thouvenin publizierte als Co-Autor ebenfalls im März ein Papier mit dem Titel «Argumente gegen ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger».

Hat die Kommission anstelle unabhängiger Experten einfach zwei weitere Gegner des Leistungsschutzrechts eingeladen? «Wir fanden keinen unabhängigen Urheberrechtsexperten, der für das Leistungsschutzrecht ist», sagt Noser. Deshalb habe man sich auf Thouvenin und Egloff geeinigt. Der Kommissionspräsident räumt ein, dass deren Erläuterungen von grossem Einfluss waren: «Ihre Ausführungen waren sehr überzeugend», sagt Noser, selber ein erklärter Gegner des Leistungsschutzrechts.

Funktioniert es in der EU?
Wenig von Nosers Begründung hält Kai-Peter Uhlig, Urheberrechtsexperte und Berater des Verlegerverbands. «Es gibt durchaus Experten, die das Leistungsschutzrecht positiv würdigen.»

Uhlig nennt etwa die deutschen Professoren Jan Hegemann oder Boris Paal. Beide wurden laut Noser nicht angefragt. «Jedenfalls hätte die Kommission die Möglichkeit gehabt, Experten anzuhören, die nicht offen ablehnend, sondern kritisch-ausgewogen an das Thema herangehen», sagt Uhlig. Dass man sich ausgerechnet für erbitterte Gegner entschieden habe, sei befremdlich.

Ganz aufgegeben haben die Befürworter des Leistungsschutzrechts noch nicht. So fordert die zuständige Ständeratskommission in einem Postulat, der Bundesrat solle verfolgen, welche Erfahrungen die EU mit dem Instrument mache. Schwerpunkt soll dabei die Situation der Verleger und Journalisten sein.