Geht es nach National- und Ständerat, bekommen Online-Medien künftig Geld vom Bund. Vier Gründe, warum das richtig ist.
Von Claudia Blumer, publiziert im Tagesanzeiger vom 10. September 2020
Austarierter Kompromiss
Der Nationalrat hat am Donnerstag beschlossen, dass künftig nicht nur Radio und Fernsehen, sondern auch Onlinemedien direkt unterstützt werden sollen. So hatte im Juni auch der Ständerat entschieden. Die nationalrätliche Fernmeldekommission hingegen wollte die Onlinemedien-Förderung aus dem Paket herausnehmen und auf Verfassungskonformität prüfen. Sie wollte nur den unbestrittenen Teil der Vorlage, die Aufstockung der indirekten Medienförderung, vorantreiben. Das wäre falsch gewesen, allein schon mit Blick auf die Entstehung der Vorlage: 2018 legte Bundesrätin Doris Leuthard das Bundesgesetz über elektronische Medien vor, das eine weitgehende Regulierung und Subventionierung elektronischer Medien vorgesehen hätte. Fast niemand fand es gut. Also beerdigte ihre Nachfolgerin Simonetta Sommaruga den Entwurf und fing wieder von vorn an, indem sie Vertreter der Medienbranche und der Politik an einen runden Tisch holte. Das war vor einem Jahr. Daraus ist das vorliegende Paket entstanden, ein austarierter Kompromiss. Mitteparteien pochten auf eine stärkere Zustell-Ermässigung, die Linke hingegen bestand auf der Förderung von Internet-Portalen. Einen Teil aus der Vorlage herauszureissen, würde den Kompromiss zunichtemachen.
Ein Grenzfall – aber zulässig
Der Entscheid von National- und Ständerat ist ein Tabubruch. Denn bisher galt, dass nur Radio und Fernsehen direkt subventioniert werden dürfen. Die Presse erhielt nur indirekte Hilfe via Mehrwertsteuer und Zustell-Ermässigung. Indem der Bund Onlinemedien fördert, subventioniert er aber Zeitungen automatisch mit. Denn die Redaktionen bespielen heute die Print-Ausgabe und den Online-Kanal aus einer Hand, eine Trennung der Budgets ist schwierig. Manche Parlamentarier halten das für verfassungswidrig. Es ist ein Grenzfall. Die Verfassung gibt dem Bund die Kompetenz, Radio und Fernsehen «sowie andere Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung» zu regulieren und zu fördern. Das Internet gab es Anfang der Achtzigerjahre noch nicht, dennoch könnte man es unter den «anderen Formen» der fernmeldetechnischen Verbreitung subsumieren. In der Lehre gibt es unterschiedliche Ansichten dazu. Letztlich entscheidet bei uns das Parlament (oder das Volk), da es kein Verfassungsgericht gibt. Nicht ganz ehrlich ist die Rhetorik von Politikern aus SVP, FDP und CVP, welche die Verfassungskonformität der Online-Medienförderung nochmals vertieft prüfen wollen. Denn eigentlich wollen sie diese gar nicht, weder jetzt noch in Zukunft. Es braucht keine vertiefte Prüfung. Nur ein Ja oder Nein.
Jetzt oder gar nicht
Die Medien brauchen die Hilfe aber jetzt. Während der Corona-Pandemie sind ihre ohnehin rückläufigen Werbeumsätze mit einem Schlag massiv gesunken. So wie auch in anderen Branchen. Man könnte nun einwenden: Wenn Medien subventioniert werden, müsste der Bund dann nicht alle Branchen, die Probleme haben, unterstützen? «Wir ziehen hier eine Subventionsmaschinerie auf», sagte SVP-Nationalrat Gregor Rutz im Rat. Das ist richtig. Doch die Medien sind nicht mit jeder anderen Branche zu vergleichen. Sie waren nie über längere Zeit selbsttragend. Bis ungefähr 1970 gab es fast ausschliesslich Parteizeitungen, die von ihren Geldgebern auch inhaltliche Impulse bekamen. Erst mit der 68er-Bewegung emanzipierten sich die Zeitungen, wurden finanziell und publizistisch unabhängig, was dank dem florierenden Anzeigengeschäft möglich war. Doch Goldgruben-Stimmung herrschte lediglich zwei Jahrzehnte. Schon in den Neunzigerjahren setzte der Rückgang bei der Werbung ein, verursacht durch das Internet. Branchen entstehen und gehen unter. Allerdings: Die Politik kann die Medien nicht behandeln wie, sagen wir, ein Zahnbürsten-Modell, das nach einem kurzen Hype wieder vom Markt verschwindet. Ohne vielfältige Medienlandschaft auf allen staatlichen Ebenen und in allen Sprachregionen sind die Stimmberechtigten ungenügend informiert. Das gefährdet Frieden und Stabilität. Deshalb ist die Hilfe dringend und wichtig.
Ist die Unabhängigkeit gefährdet?
Die Frage ist berechtigt: Beisst eine Zeitung die Hand, die sie füttert? Wenn Zeitungen künftig Geld vom Bund bekommen – sind sie dann noch kritisch genug mit den Bundesbehörden? Etwa mit dem Bundesamt für Kommunikation, das über die Vergabe wacht? Hierzu ist zu sagen, dass die Zeitungen heute schon unterstützt werden, wenn auch nur indirekt. Dass eine direkte Überweisung die Unabhängigkeit der Medien wesentlich stärker beschneidet als die – seit Jahrzehnten unbestrittene indirekte Hilfe –, ist unwahrscheinlich. Zumal die Unterstützung der Onlinemedien sehr moderat ausfallen soll. Es werden nicht ganze Budgets vergütet, sondern im Sinne eines Anreizmodells sollen pro Online-Abonnement Beiträge gesprochen werden. Je kleiner die Zeitung, desto grösser der Beitrag. So der heutige Stand der Planung. Gratismedien wie beispielsweise «Watson» sollen kein Geld erhalten, sondern nur bezahlte Onlinemedien wie etwa die «Republik» oder Online-Ausgaben der Tamedia, die auch diese Zeitung herausgibt. Das Fördermodell hatte in den letzten Wochen für Kontroversen gesorgt, die dazu führten, dass die Nationalratskommission die Online-Förderung aus dem Hilfspaket herausnahm. So hatte Peter Wanner, Verleger von CH Media, das Fördermodell in einem Meinungsbeitrag kritisiert, weil es Gratismedien und grosse Zeitungen benachteiligt. Daraufhin drohte die Linke mit einem Nein zum ganzen Paket, was die Vorlage gefährdet hätte. Wanner justierte seine Position gegenüber den Parlamentariern nachträglich, wie die «Republik» berichtete: «Ich möchte nicht das ganze Medienpaket gefährden. Dann hätte man mich falsch verstanden.»