Medienpaket: Förderung für Zeitungen überlebenswichtig

  05. September 2020
Medienpaket: Förderung für Zeitungen überlebenswichtig

Heute erreichen die gedruckten Zeitungen täglich noch immer doppelt soviele Nutzer wie deren digitale Angebote. 


Dieser Beitrag ist am 5. September 2020 in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen.

Bald entscheidet der Nationalrat, wieweit die Schweizer Medien künftig mit öffentlichen Geldern unterstützt werden sollen. Bis Online-Medien profitabel sind, braucht es staatliche Hilfe. Ein Plädoyer von Verlegerseite. 

Medien sind für die direkte Demokratie der Schweiz äusserst wichtig. Sie informieren die Bevölkerung und ermöglichen dadurch wichtige Debatten. Dies gilt insbesondere für die Zeitungen. Die im Auftrag des Bundes – jeweils nach eidgenössischen Volksabstimmungen – durchgeführte «Voto-Studie» zeigt ein stabiles und klares Bild: Für 89 Prozent der Urnengänger sind redaktionelle Beiträge in Zeitungen die wichtigste Quelle für die politische Meinungsbildung.

Aber nicht nur auf nationaler Ebene sind Medien für den politischen Diskurs wichtig. Auch die Lokalpolitik braucht mediale Aufmerksamkeit. Die Politologen Daniel Kübler und Christopher Goodman von der Universität Zürich haben nachgewiesen, dass das Abstimmungsverhalten von der regionalen Zeitungspräsenz abhängig ist: Je höher die Auflage der lokalen Zeitungen und je mehr die Medien über lokale Politik berichten, desto höher ist die Wahlbeteiligung.

Dramatischer Rückgang der Werbeeinnahmen

Der Zeitungsvielfalt gilt es also Sorge zu tragen. Die private Service-Public-Presse ist aber in Gefahr. Der Rückgang der Werbung macht es immer schwieriger, qualitativ hochstehenden Journalismus zu finanzieren. In den letzten zehn Jahren sind mehr als eine Milliarde an Werbeeinnahmen und damit auch mehr als die Hälfte der Inserateeinnahmen pro Jahr verschwunden, die früher die journalistische Arbeit finanziert haben.

In diesen aussergewöhnlichen Zeiten beschleunigt sich der strukturelle Wandel. Der Abfluss von Werbegeldern zu den grossen internationalen Digitalplattformen nimmt weiter zu. Die Presse hat aber kein Nachfrageproblem. Journalismus ist gefragt. Gerade in bewegten Zeiten wird nach vertrauenswürdigen Quellen gesucht. Die Nachfrage nach verlässlicher Berichterstattung und journalistischer Einordnung ist sehr gross, vor allem auf digitalen Kanälen.

Aber auch die Print-Publikationen erfüllen eine sehr wichtige Rolle. Die gedruckte Presse erreicht in der Schweiz täglich über 90 Prozent der Bevölkerung, wie die WEMF ausweist. Zeitung gelesen wird also wie selten zuvor, nur finanziert werden kann der Inhalt kaum noch.

Die Medienbranche ist seit 25 Jahren mit der Digitalisierung konfrontiert, und sie hat verschiedenste Geschäftsmodelle ausprobiert. Lange haben die Verleger im Online-Bereich darauf gesetzt, mit kostenlos zugänglichen Inhalten möglichst viele Leserinnen und Leser zu erreichen und die Finanzierung rein über die Online-Werbung sicherzustellen. Dieser Weg hat sich als Sackgasse herausgestellt.

Obwohl die Online-Werbung jährlich in zweistelligen Prozentsätzen boomt, geht nur ein geringer Teil an die Verlage. Ungefähr achtzig Prozent jedes neuen digitalen Werbefrankens gehen an Google und Co. Das war vor zehn Jahren allerdings nicht vorhersehbar. 

Zwar wird es pro Land ein, zwei reichweitenstarken Online-Publikationen gelingen, sich rein über digitale Werbung zu finanzieren. Die Experten sind sich weltweit aber einig, dass die Finanzierung des Online-Journalismus zukünftig über den Lesermarkt geschehen muss. Dies gilt ganz besonders für lokal ausgerichtete Titel. 

Das Beispiel Norwegen zeigt, dass es gelingen kann, mit Bezahlmedien auch in kleinen Räumen zu bestehen. In Norwegen ist die Zahlungsbereitschaft für digitale Inhalte weltweit am weitesten entwickelt. Sie liegt gemäss dem neusten «Reuters Digital News Report» bei 42 Prozent. In der Schweiz sind erst 13 Prozent der Bevölkerung bereit, für digitale Nachrichtenangebote zu zahlen.

Die Verlage bauen die sogenannten Paywalls höher und höher und schränken damit den Zugriff auf kostenlose Inhalte immer weiter ein. Noch ist es aber ein weiter Weg, bis dieses Geschäftsmodell etabliert ist. Ohne eine erweiterte Medienförderung, die eine Brücke in der Transformationsphase bildet, ist die heute noch intakte Medienvielfalt gefährdet.

Bundesrat legt Massnahmenpaket vor

Der Bundesrat hat dies erkannt und am 29. April 2020 ein Massnahmenpaket zugunsten der Medien ans Parlament überwiesen. Dieses besteht aus drei Säulen. Erstens wird eine Postgesetzrevision beantragt, über welche die bereits bestehende indirekte Presseförderung erweitert werden soll. Hiermit soll die gedruckte Presse umfassender unterstützt werden, und es sollen mehr Titel von ermässigten Zustelltarifen der Post profitieren. Dafür ist eine Erhöhung der Förderung um 20 auf neu 50 Millionen Franken pro Jahr vorgesehen.

Zweitens sollen über eine Revision des Radio- und TV-Gesetzes neue Massnahmen, die dem ganzen Mediensystem zugutekommen, finanziert werden. Darunter fallen unter anderem die Unterstützung für die journalistische Ausbildung und für die Nachrichtenagenturen sowie ein Fördertopf für IT-Projekte im Sinne von Branchenlösungen. Dafür sind zwei Prozent aus der Radio- und Fernsehabgabe vorgesehen.

Drittens legt der Bundesrat ein neues Gesetz für die Förderung von Online-Medien vor. Damit sollen publizistische Bezahlangebote, die einen professionellen digitalen Service-Public-Journalismus bieten, für zehn Jahre unterstützt werden. Hierfür sind 30 Millionen Franken veranschlagt. Die Modelle sind indirekt ausgestaltet, auf Leistungsaufträge wird verzichtet. Die redaktionelle Freiheit bleibt gewahrt, was die Branche sehr begrüsst.

Branchenexperten sind sich einig, dass es ohne einen mittelfristigen Ausbau der Medienförderung nicht mehr geht. Die Aussicht auf Unterstützung ruft jetzt Anspruchsteller aus allen Bereichen des Schweizer Medienplatzes auf den Plan.

Wichtig ist deshalb die Verhinderung von Marktverzerrungen. Es dürfen nur Bundesgelder fliessen, wo professioneller Journalismus gewährleistet, die Medienvielfalt bereichert und ein nachhaltiges Geschäftsmodell mit Substanz vorhanden ist. 

Die Verleger stützen die klare Linie des Bundesrates. Bei der Print- und Online-Förderung sollen nur Publikationen förderberechtigt sein, die eine gewisse Mindestauflage und einen Mindestumsatz nachweisen können. Damit bauen die Fördermodelle auf dem unternehmerischen Erfolg auf. Zudem sind sie mit geringem administrativem Aufwand anzuwenden.

Ohne Stabilisierung droht ein Kahlschlag

Die Stabilisierung der Zeitungslandschaft hat höchste Dringlichkeit und muss das primäre Ziel sein, um die Medienvielfalt langfristig sichern zu können. Für die Verlage hat deshalb die geplante Erweiterung der indirekten Presseförderung für die gedruckten Zeitungen erste Priorität. Sie ist die breitenwirksamste Fördermassnahme, von der heute rund 140 und künftig gut 170 Publikationen profitieren.

Wird die Printförderung nicht ausgebaut, hat das auch Auswirkungen auf das digitale Angebot. Der Journalismus wird noch immer grösstenteils über Print-Erträge finanziert. Verschwinden gedruckte Zeitungen, verschwindet auch das digitale Angebot. Die etablierten Publikationen geniessen bei ihren Leserinnen und Lesern grosses Vertrauen. Die Zahlungsbereitschaft für digitale Angebote entwickelt sich aus der Zeitungsleserschaft. Die grossen Verlage haben hier sehr viel Vorarbeit geleistet, die in der Ausgestaltung der Fördermodelle auch entsprechend berücksichtigt werden muss.

Wo Titel verschwinden, bleibt meist eine Lücke. Neue Medienmarken zu etablieren, ist ausserordentlich schwierig, Investoren in der heutigen Marktsituation zu finden, noch schwieriger. Das zeigt sich in den USA, wo ganze Landstriche ohne eigene Medien auskommen müssen. In solchen Gebieten fragmentiert sich die Mediennutzung, was zu Orientierungslosigkeit führen kann. Wenn Teile der Bevölkerung ihre Meinungen auf zweifelhaften Quellen aufbauen, besteht eine erhöhte Gefahr für Desinformation und Verschwörungstheorien. Die Gemeinschaft würde destabilisiert.

Die Schweiz ist noch weit von solchen Szenarien entfernt. Unser Parlament tut aber gut daran, in Sachen Medienpaket rasch zu einem Abschluss zu kommen. Sonst droht der Schweizer Zeitungslandschaft ein Kahlschlag, der nicht mehr aufzuforsten ist.

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