Rede zur Dreikönigstagung: «Diversity» braucht es auch bei den Meinungen

  16. Januar 2023
Rede zur Dreikönigstagung: «Diversity» braucht es auch bei den Meinungen

FDP-Präsident Thierry Burkart über die demokratiepolitische Relevanz der Schweizer Medien. Es gilt das gesprochene Wort.

© Bild: KEYSTONE / Gaëtan Bally

Gerade unsere direkte Demokratie ist auf Bürgerinnen und Bürger angewiesen, die sich mit politischen Einzelfragen und Zusammenhängen differenziert auseinandersetzen. Garant dafür, dass diese Auseinandersetzung mit dem Staat nicht hoheitlich gelenkt wird, ist nur eine freie, unabhängige Informationslandschaft. Die Kommunikationstechnik verbreitet Ideen und Gedanken, und deshalb hat sie die Welt verändert. Die Erfindung der Buchdruckerkunst machte es erstmals möglich, Ideen und Gedanken nicht nur zu speichern, sondern Tausenden zugänglich zu machen. Bücher und Zeitungen kann man verbrennen oder der Zensur unterwerfen.

Die elektronische Kommunikation unserer Zeit hat neue Dimensionen eröffnet. Ereignisse und ihre Wertungen erreichen in Sekundenbruchteilen alle Winkel des Globus. Sie sind weder durch Mauern noch durch Zensuren aufzuhalten – wir erleben das aktuell eindrücklich im Iran. Kein Staat hat mehr ein Informationsmonopol. Im freien Wettbewerb der Ideen hat die Lüge auf Dauer keine Chance. Deshalb ist Konkurrenz der Meinungen so wichtig. Denn durch Information werden die Menschen mündig.

Aber ebenso bedroht eine unüberblickbare und nicht eingeordnete Informationsflut die Fähigkeit der Bürgerinnen und Bürger, sich eine Meinung auf der Grundlage von Fakten zu bilden. In den sozialen Medien werden die Konsumentinnen und Konsumenten mit Storys, Wirklichkeitsausschnitten und Kommentaren geradezu bombardiert. Das Publikum sehnt sich nach Einordnung, nach Überblickbarem, um sich eine Vorstellung von Richtig und Falsch machen zu können.

Medien, die über relevante Themen informieren, sie aber auch einordnen, sind also conditio sine qua non für das Funktionieren unserer direkten Demokratie. Damit ist klar, dass es nach wie vor Schweizer Medien im konventionellen Sinn braucht. Ohne sie hätten wir ein staats- und demokratiepolitisches Problem erster Güte. Wir dürfen dankbar sein, dass in der Schweiz die mediale Berichterstattung grundsätzlich gut funktioniert und ihren Beitrag zum demokratischen Meinungsbildungsprozess damit leistet.

Die Funktion der Informationsbeschaffung zugunsten der Bürgerinnen und Bürger und der qualitativen Einordnung als Beitrag zur demokratischen Meinungsbildung kann aber nur erfüllt werden, wenn die Absender auf Dauer glaubwürdig sind und als solche wahrgenommen werden. Eine Vielfalt der Medienlandschaft ist dabei für die Glaubwürdigkeit zwingend. Aber auch die Einordnungen müssen pluralistisch sein. Es braucht also neben der Informations- auch eine Meinungsvielfalt.

Informations- und Meinungsvielfalt
Informations- und Meinungsvielfalt gibt es grundsätzlich nur aufgrund von im Wettbewerb konkurrierenden unabhängigen Medien. Voraussetzung dafür sind möglichst freiheitliche und – damit verbunden – auch vom Staat unabhängige Rahmenbedingungen.

Freiheit, Sie werden es mir als überzeugten Liberalen nachsehen, ist die wichtigste Grundlage unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung. Freiheit bedeutet, sich selbst sein zu dürfen, als Persönlichkeit anerkannt und akzeptiert zu werden. Sie ist auch eine unverzichtbare Bedingung für den Fortschritt in der Gesellschaft, denn nur freie Menschen sind immer auf der Suche nach Neuem und Besserem. Das gilt eben auch für den Journalismus und die Medien.

Weil nun aber die schrankenlose Freiheit der Einen die der Anderen gefährden kann, muss sie gebändigt werden, aber nicht so, dass sie wieder zerstört wird. Nun sind jene, die nach Beschränkungen der Freiheit rufen, um Begründungen selten verlegen. Sie stützen ihre Forderung nach staatlicher Bevormundung auf, wie sie sagen, Missbräuche und Auswüchse der Freiheit oder, dass ein angebliches Marktversagen vorliege. Trotzdem gilt es immer, sorgfältig die Risiken abzuwägen, die einerseits jeder Freiheit eigen sind, und andererseits mit Beschränkungen der Freiheit neu entstehen.

Gesetzgebung und Gesetzesvollzug obliegen ja wiederum Menschen, und die Erfahrung lehrt, dass es trügerisch ist, Politikerinnen und Politiker sowie Beamtinnen und Beamten gewissermassen als unfehlbar, als Übermenschen qualifizieren zu wollen. In der Antwort zu einer Interpellation des damaligen Glarner Ständerats Peter Hefti von 1990 hat es der damalige Bundesspräsident Arnold Koller treffend und auch für die heutige Zeit immer noch gültig formuliert: «Freiheit ist immer mit Risiken verbunden. Gerade im delikaten Gebiet der Medienfreiheit sind aber Risiken der Freiheit und ihre möglichen Auswüchse unendlich kleiner als diejenigen von gesteuerten und kontrollierten Medien.» 

Unabhängigkeit setzt freiheitliche Rahmenbedingungen voraus
Die staatlichen Rahmenbedingungen für die Medien müssen also möglichst freiheitlich – im Sinne von vom Staat unabhängig – ausgestaltet sein. Nur so kann die Unabhängigkeit der Medien gegenüber dem Staat glaubwürdig gewährleistet werden. 

Eine direkte Subventionierung mit der damit verbundenen finanziellen Abhängigkeit vom Staat hat vielleicht nicht zwingend eine inhaltliche Abhängigkeit zur Folge. Es entsteht aber zumindest der Anschein der Unabhängigkeit und widerspricht damit dem zentralsten Aspekt der demokratiepolitisch relevanten Medienlandschaft: der Glaubwürdigkeit. Die gestern erhobene Forderung der EMEK nach einer direkten Medienförderung – notabene nicht einmal ein Jahr nach dem Volks-Nein – missachtet dieses Prinzip. Dass sie gleichzeitig verlangt, die Förderung sei ohne die Möglichkeit einer politischen Einflussnahme auszugestalten, zeigt, dass sie sich eigentlich des Problems bewusst ist, dennoch aber nicht auf die Mittel verzichten will.

Sich in Abhängigkeit der Politik zu begeben, ist für die Medien allgemein ein schlechter Ratgeber. Sie kann in inhaltlichen Weisungen des Verlags an Journalistinnen und Journalisten, zugunsten der Regierungspolitik Position beziehen zu müssen, münden. Die Folge ist die Untergrabung der journalistischen Unabhängigkeit und hat bei Bekanntwerden negative Folgen für die Glaubwürdigkeit der Medien und damit für die politische Stabilität unseres Landes ganz allgemein. Denn der Verlust der Glaubwürdigkeit der Medien führt unweigerlich auch zum Verlust der Glaubwürdigkeit von Politik sowie den gesellschaftlichen Verantwortungsträgerinnen und -trägern, hat also schwerwiegende gesamtgesellschaftliche Konsequenzen.

Allein die institutionelle Unabhängigkeit ist aber noch kein Garant für die tatsächliche Unabhängigkeit und Vielfalt. Denn auch vom Staat unabhängige Medien sind inhaltlich noch nicht zwingend von anderen Einflüssen unabhängig. Dabei gilt besonders zu beachten, dass Medienvielfalt nicht zwingend Informations- und Meinungsvielfalt zur Folge hat. Die Kanäle, die uns mit Informationen versorgen, können kaum noch gezählt werden. Das gegenseitige Abschreiben und die unkritische Weiterverbreitung von Informationen anderer Medien widerspricht aber dem Vielfaltsgrundsatz. Nur weil eine Information über unterschiedliche Medien verbreitet wird, heisst das noch nicht, dass die Informationen beziehungsweise die Meinungen vielfältig sind. 

Gegenseitige Unabhängigkeit
Bedauerlicherweise kommt es immer wieder vor, dass Medien einander abschreiben, ohne einer Sache auf den Grund zu gehen. Ein originelles Beispiel trug sich am 30. September 2021 zu. Um 17.30 Uhr verkündeten die Websites eines grossen Medienhauses den Rücktritt von Bundesrat Ueli Maurer. 

Im Bundeshaus machte sich Aufregung breit. Wenig später doppelte ein anderes grosses Medienhaus nach und meldete nicht nur den Rücktritt, sondern gleich auch noch die möglichen Nachfolger. Weitere Medien sprangen auf die Geschichte auf. Keine der Journalistinnen und keiner der Journalisten hatte im Finanzdepartement nachgefragt.

Eigentlich passierte ironischerweise aber etwas ganz anderes: Zwei Journalistinnen bzw. Journalisten eines Mediums hatten in der Wandelhalle nach möglichen Nachfolgern gefragt. Daraus entstand ein Gerücht, worauf ein anderes Medium das Gerücht als mögliche Tatsache unüberprüft veröffentlichte und die in der Wandelhalle nach Nachfolgern herumfragenden Journalisten ihr – unbeabsichtigterweise und ohne es zu merken – selbst verursachtes Gerücht bei den Kollegen des anderen Mediums abschrieben. Immerhin korrigierte ein weiteres auf die Geschichte aufgesprungenes Medium die Meldung einen Tag später. Glaubwürdigkeit, sehr geehrte Damen und Herren, heisst, dass Geschriebenes stimmen muss. 

Es haben sich auch andere Fehlentwicklungen, die der Glaubwürdigkeit der Medien schaden, verstärkt: Zum Beispiel Thesenjournalismus oder die Vermischung von redaktionellem Beitrag und Kommentar. Nicht zu vergessen ist, dass allein mit der Themenauswahl Einfluss genommen werden kann. Auch hier braucht es eine Ausgewogenheit und eine stete Überprüfung auf Relevanz.

Doppelnatur der Verlage
Natürlich ist mir die Realität des Marktes bekannt. Freiheitliche Medien bedeuten selbstverständlich Konkurrenz. Und diese Konkurrenz stammt mittlerweile und immer intensiver auch aus dem Ausland. Das ist die Doppelnatur der Verlage: Gnadenloser Konkurrenzkampf hier, staatspolitische Verantwortung dort. Notwendig ist, dass die Medienschaffenden ihre Freiheit mit Verantwortung wahrnehmen. Die Verantwortung ist somit der Preis für die Freiheit. Das bedeutet, dass man nicht einfach tun und lassen kann, was nicht verboten ist. Auflage und Klicks dürfen nicht der einzige Massstab sein. Um die inhaltliche Unabhängigkeit zu gewährleisten, ist das verantwortliche Handeln der Medien selber gefragt. Dies wird mit sich selber gegebenen Regeln erreicht – aber auch nur dann, wenn die journalistische Qualität vorhanden ist. Und hier liegt der Schlüssel für die glaubwürdige Unabhängigkeit der Medien.

Investitionen in Humankapital
Journalismus wird von Menschen gemacht. Dafür bedarf es qualifiziertes Personal. Das heisst:

  • Erfahrene Journalistinnen und Journalisten, die sich à fond mit einer Sache auseinandersetzen. Denn fundiertes Wissen ist die Voraussetzung für den unabhängigen kritischen Blick auf die Arbeit von Regierung und Parlament.
  • Mutige, staatskritische Journalistinnen und Journalisten, weil nur sie Politik und die Rolle des Staates hinterfragen wollen und können. 
  • Und schliesslich eine Vielfalt von Journalistinnen und Journalisten, damit eine Vielfalt an Fragen und Rechercheansätzen zu einer Vielfalt an Berichterstattung und Kommentierung führt. Zu «Diversity» gehört auch die Vielfalt der politischen Einstellungen in den Redaktionen, was selbstverständlich in erster Linie für Medien mit einem Forumsanspruch sowie für Medien, die durch eine staatliche Steuer finanziert werden, gilt.

Genügend hohe Investitionen ins Humankapital sind also zwingend, wenn die journalistische Qualität und damit das wichtigste Kapital der Medien – die Glaubwürdigkeit – auf Dauer gesichert sein soll. 

Die Schweizer Medien stehen also zwischen Skylla und Charybdis, zwischen zwei Ungeheuern, die sie zu zerstören drohen. Einerseits verdienen die Verlagshäuser nur noch wenig Geld mit Werbung, genauer gesagt mit den Inseraten, mit denen sie noch vor 20 Jahren ganze zusätzliche Bünde gefüllt und entsprechend verdient haben. Zudem brechen ihnen die Leserzahlen und damit die Einnahmen mit Abonnementen weg, weil es Information im Netz kostenlos gibt, teilweise von den gleichen Verlagshäusern, die über mangelnde Abonnenten wehklagen. Das führt dazu, dass die immensen Investitionen in die Technologie kaum noch möglich sind, was das Mithalten mit den Veränderungen im Markt erschwert. Andererseits müssen sie dem Gebot der Glaubwürdigkeit genügen und ihren staatspolitischen Auftrag wahrnehmen. Dazu ist die Qualität des Humankapitals zwingende Voraussetzung.

Leistungsschutzrecht als liberales Instrument
Das ist alles nicht neu. Sie kennen die entsprechenden Entwicklungen und Zahlen. Sie haben daher eine Ausweitung der Medienförderung und eine direkte Finanzierung von Redaktionen verlangt und im Parlament auch erhalten. Dagegen wurde das Referendum ergriffen. Das Schweizer Volk hat sich für die Unabhängigkeit der Medien ausgesprochen. Diesen Entscheid gilt es zu respektieren. Allerdings gehört zu freiheitlichen Rahmenbedingungen, dass Leistung etwas kostet und mit einer qualitativen Leistung Geld verdient werden kann. Aus diesem Grund ist es zwingend, dass Inhalte von Verlagen nicht einfach übernommen werden dürfen, ohne dass dafür eine Abgeltung bezahlt wird. Leistung muss geschützt werden, andernfalls wird sie nicht mehr erbracht.

Es entspricht der liberalen Grundhaltung, dass auch geistiges Eigentum geschützt wird. Das ist Aufgabe des Staates. Nur so kann freiheitliches Wirtschaften zum Nutzen des einzelnen Wirtschaftssubjekts, aber auch im Interesse des gesamten Wirtschaftssystems gewährleistet werden. Der Zweck der Nutzung ist übrigens nicht relevant. Auch ein Warenhaus, das im Hintergrund Musik laufen lässt, muss eine Abgabe für die Nutzung der Musik bezahlen. Selbstverständlich ist es auch im Interesse der Musikerinnen und Musiker sowie deren Produzenten, dass Musik gespielt wird. Das allein rechtfertigt nicht, dass sie ihre Leistung gratis zur Verfügung stellen müssen. Das gilt übrigens auch für andere Berufe, wie zum Beispiel Anwälte, Schauspieler oder Ärzte. Der Gesetzgeber muss für ein Leistungsschutzrecht die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen.

Bei der indirekten Presseförderung sind die Rahmenbedingungen im Grundsatz vorhanden. Dem liberalen Anspruch genügt das Instrument der indirekten Presseförderung zwar nur zu Teilen. Es hat sich aber auch unter dem Aspekt der politischen Unabhängigkeit bewährt und ist eine geeignete Massnahme, um den Strukturwandel vom Print zum ausschliesslich Digitalen im Sinne der staatspolitischen Ansprüche abzufedern. Dieses Instrument kann angepasst und finanziell ausgebaut werden, darf aber den unabwendbaren Strukturwandel nicht verhindern. Daher ist eine zeitliche Begrenzung notwendig.

Zahlreiche griechische Helden haben sich Skylla und Charybdis genähert. Einem wurden sechs Gefährten weggefressen, ein anderer zerschellte an den Klippen. Nur Aeneas kam unbeschadet davon, in dem er die Meerenge – vermutlich jene von Messina – einfach umschiffte und Sizilien umrundete. Vielleicht müssen die Verlage auch aussenrum, um ans Ziel zu kommen. Dieser Weg ist weniger schnell und vielleicht auch weniger heldenhaft, durchaus aber zielführend: nämlich die Pflichterfüllung zur unabhängigen Information und zur kritischen Sicht auf alle Akteurinnen und Akteure von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, unabhängig ihrer Herkunft und Position. Nur so sind Medien glaubwürdig. Nur so leisten sie einen Beitrag zum Funktionieren der Demokratie. Nur so kann die Glaubwürdigkeit der Medien erhalten bleiben. Nur so bleiben unsere Medien das, was sie sind: unverzichtbar!

Ich komme zum Fazit: Pluralität und Wettbewerb der Meinungen müssen spielen. Kritische und kompetente Medien sind eine unentbehrliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit demokratischer Systeme. Nun gibt es für die Medien natürlich nicht nur die demokratischen Alarmwerte, sondern auch jene ihres eigenen marktwirtschaftlichen Erfolgs. Nur wenn wir Schweizer Medien haben, die journalistisch glaubwürdig und unabhängig sind und gleichzeitig Gewinne erwirtschaften, die vor allem auch in ihr eigenes Humankapital investiert werden, wird unsere demokratierelevante Medienlandschaft und damit unsere direkte Demokratie eine Zukunft haben. Damit dies möglich ist, bedarf es freiheitlicher Rahmenbedingungen, in denen journalistische Leistungen einen Preis haben und das verantwortungsvolle Handeln aller Medienschaffenden die oberste Maxime ist. Dabei wünsche ich Ihnen im Sinne der Zukunft unseres Landes viel Erfolg!


Die Rede wurde am 14. Januar in der SonntagsZeitung publiziert. Hier geht's zum Artikel. (Abo+)