Journalisten sind wie Bauern: unerlässlich für unsere Gesellschaft
Warum der Churer Verlegerverbands-Präsident Andrea Masüger der Überzeugung ist, dass Medien von der Gesellschaft stärker unterstützt werden müssen.
Joachim Braun, Südostschweiz, 07.02.2024
Zu seinem traditionellen «Dreikönigstreffen» lud vor Kurzem der Verlegerverband Schweizer Medien (VSM )an den Zürcher Paradeplatz ein. Alles, was in der Branche Rang und Namen hat, war gekommen und diskutierte über Krisen und Künstliche Intelligenz (KI). Hauptredner war der Bündner Nationalrat Jon Pult. Präsident des VSM ist der Bündner Andrea Masüger. Joachim Braun sprach mit dem 66-jährigen Journalisten, der Jahrzehnte lang diese Zeitung geprägt hatte – als Fotograf, als Bundeshaus-Redaktor, Chefredaktor und bis 2018 als CEO.
Wenn Medien über Medien berichten, dann ist in der Regel die Rede von wirtschaftlichen Problemen und vom Stellenabbau. Können Sie jungen Leuten heute noch guten Gewissens empfehlen, Journalist zu werden?
Unbedingt.
Warum?
Weil es extrem faszinierend ist, sich in dieser Umbruchzeit, in der der Journalismus von «FakeNews», Desinformation und anderen seltsamen Dingen bedroht ist, zu engagieren. Für unsere Demokratie war und ist Journalismus essenziell.
Und wenn ich dann als junger Mensch entgegenhalte, das sich in anderen Berufen bei ähnlicher Qualifikation viel mehr verdienen kann und auch ganz andere Sicherheiten habe ...
... würde ich bestreiten, dass ich mehr verdiente. Mein Anfangslohn waren 800 Franken. Das Geld ist ein bisschen ein Ammenmärchen. Natürlich verdient man nicht so viel wie in anderen Branchen, aber für einen Beruf, den man ausüben will, sollte man auch ein bisschen Idealismus investieren. Man hat vielleicht etwas weniger Geld, als wenn man zu einer Bank geht, aber Journalismus ist doch ein cooler Job.
Das bestätige ich gerne. Und doch wird es immer schwieriger, junge Leute für den Journalismus zu gewinnen.
Ja, das stimmt, und da müssen wir auch selbstkritisch sein, weil wir die Branche selber so gerne in die Krise reden. Das ist sie eigentlich trotz aller Probleme nicht. In jedem Beruf, sofern er nicht gerade in einer Boom-Branche ist, gibt es solche Tendenzen in unserer sich schnell verändernden Welt.
Sind Journalisten also Jammerlappen?
(Zögert) Würde ich so nicht sagen. Aber es gibt sicherresilientere Berufsgruppen (lacht).
Sagt das jetzt der Präsident des Verbands Schweizer Medien?
Nein. Ja. (lacht) Also, wenn man hört, dass im Gastgewerbe geklagt wird, dass junge Leute nicht mehr bereit seien, sich zu plagen, und wenn man erlebt, dass man dauernd vom einen zum anderen Arzt geschickt wird, weil der eine gerade seinen Freitag hat oder im Sabbatical ist, dann sieht man, dass es überall eine solche Tendenz gibt.
Wie können wir jungen Leuten die Attraktivität unseres Berufs vermitteln?
Man muss ihnen zeigen, wie faszinierend der Journalismus ist und welche Rolle er in unserer
Gesellschaft hat, durch Praktika zum Beispiel oder mithilfe von erfahrenen Kollegen. Ich glaube schon, dass wir junge Leute dafür begeistern können.
Gehen wir zwei Ebenen höher: Tatsächlich haben ja fast alle Verlage in der Schweiz, aber auch anderswo in der westlichen Welt, massive Probleme in der digitalen Transformation und suchen nach digitalen Geschäftsmodellen. Wie bewerten Sie das?
Wir müssen kreativ sein, neue Wege gehen. Ich kann mir vorstellen, dass uns auch KI dabei hilft – obwohl ich die sogenannte Künstliche Intelligenz eher negativ sehe. Gleichzeitig muss man sagen, dass die Faszination des Journalismus schon immer damit zu tun hatte, dass man seinen Text auf Papier liest oder sich im Radio oder Fernsehen hört oder sieht. Die Digitalisierung hat das Ganze anonymisiert, der Journalist steht nicht mehr so im Vordergrund, sondern ist Zudiener für eine grosse Informationsmasse. Und das kann natürlich dazuführen, dass der Job weniger attraktiv erscheint.
Das beschreibt eine Situation, die nicht mehr zu verändern ist ...
... Natürlich ...
... weil ja kein Weg zurück zur gedruckten Zeitung führt.
Ja, klar, das hat sich verschoben. Zeitung wird es aber noch eine Zeit geben, weil viele ältere und mittelalte Menschen sie noch wollen. Durch den Boom der sozialen Medien ist die Lage sicher nicht einfacher geworden, denn jetzt glaubt jeder, er sei selbst derJournalist und könne Leistungen liefern, die Journalisten in einer langen Ausbildung gelernt haben. Deshalb fragen sich auch viele, warum sie noch ein Online-Abo lösen sollen, wenn sie doch über Tiktok oder andere Plattformen die Nachrichten gratis bekommen. Das ist natürlich falsch, aber so wird argumentiert.
Dabei geht es um Medienbildung. Ein schwieriges Feld, mitvielen Versäumnissen – gerade im Hinblick auf jüngere Leute. Viele Menschen unterscheiden ja gar nicht mehr zwischen interessengetriebenen sozialen Medien und neutralen journalistischen Medien.
Genau, Medienbildung ist ein ganz zentrales Thema, auch bei Erwachsenen. Unser Verband geht das seit Längerem zielgerichtet an. Wir müssen die Leute aufklären, wie sie die Medien identifizieren können, die ihnen Nutzen bringen. Umfragen zeigen ja auch, wieviele Menschen sich auf den ganzen Plattformen allein gelassen fühlen. Und die werden dann die Nachrichtenmüden, die ganz aufhören, Medien zu konsumieren. Das ist ein Riesenthema für den Journalismus.
Ist das ein Journalismusthema oder ein gesellschaftliches Thema?
Es ist beides. Ein gesellschaftliches Thema, weil sich die sozialen Medien so entwickeln konnten und ein Branchenthema, um dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Wir müssen es schaffen, mit den Menschen wieder stärker ins Gespräch zu kommen, um sie zurückzuholen.
Haben Sie das bei Bundesrat Cassis gemacht, der ja öffentlich sagte, er lese keine Zeitungen mehr?
Nein, ich glaube, da würde ein Kaffee genügen, zu dem man sich zusammensetzt.
Der Bündner Nationalrat Jon Pult war bei der Dreikönigstagung Ihres Verbands der Hauptredner, und erbrach eine Lanze für den Journalismus. Er sprach davon, dass eine ausreichende Finanzierung von Journalismus eine – Zitat – «Frage der nationalen Sicherheit» sei. Subventionen wie die jetzige Zustellförderung für Zeitungen zum Beispiel seien nicht ausreichend, ihm ging es umstaatliche Finanzierung. Finden Sie das richtig?
Was Pult grundsätzlich meint, teile ich zu 150 Prozent. Wenn wir in einer direkten Demokratie wie der Schweiz keine qualitativ hochstehenden Medien haben für die Information der Bürgerinnen und Bürger, dann geht die Demokratie irgendwann mal vor die Hunde. Das zeigen ja auch Umfragen, wonach mehr als drei Viertel der Menschen, die wählen gehen, Radio, Fernsehen, Zeitung oder digitale Nachrichtenseiten konsumieren. Pults Vorstellung, der Staat finanziere Medien zum Beispiel über eine Steuer, die man bei den grossen Plattformen eintreibt, ist ein interessanter Ansatz, aberpragmatisch betrachtet ist das derzeit nichtmehrheitsfähig. Im Parlament wären damit sehr viele Räte nicht einverstanden. Wir müssen zudem sehr schnell etwas machen, deshalb setzt sich unser Verband für die traditionelle Medienförderung ein, die jetzt noch für eine Übergangsfrist etwas aufgestockt werden soll. So sollen die Verlage die Transformation besser bewältigen können.
Jetzt geht die Schweiz bei diesem Thema ohnehin einen Sonderweg. In den USA gibt es überhaupt keine Unterstützung für die Medien, in Deutschland wird darüber diskutiert, aber nichts beschlossen. Was rechtfertigt denn einen solchen Sonderweg?
Es gibt viele Länder, die Medien fördern. Österreich ist eines, wenn auch kein rühmliches Beispiel, auch die skandinavischen Länder haben eine grosse Tradition. Mit Erfolgen. In der Schweiz gibt es die Förderung seit 1849, und es ist eigentlich ein ideales Modell: Für die Zustellung der Zeitung in den Briefkasten erhält die Post Geld vom Staat. Das ist eine indirekte Förderung, da fliesst kein Geld an die Redaktionen, und es entstehen keine Abhängigkeiten. Das liesse sich einfach ausbauen.
Und das ist einfacher als das Pult'sche Grossmodell?
Unbedingt. Die Vorstellungen von Jon Pult gehen ja in dieselbe Richtung wie die vor zwei Jahre gescheiterte Medienförderungsvorlage, die von den Stimmbürgernabgelehnt wurde. Und es kommt noch dazu: Die Eidgenössische Medienkommission hat vor einem Jahr auch gesagt, man muss über eine plattformunabhängige Journalismusförderung sprechen. Der Bundesrat macht jetzt eine Auslegeordnung, und das wird alles auch zur Diskussion kommen. Ich kann mir vorstellen, dass der Prozess eine andere Dynamik bekommt, wenn die Politiker sehen, dass es wirklich brenzlig wird mit der Informiertheit der Bevölkerung. Aber das wird noch sehr lange dauern.
In der Schweiz haben Wettbewerb und freier Markt einen hohen Stellenwert. Warum soll das nicht für den Journalismus gelten?
Ich vergleiche die Journalisten immer ein bisschen mit den Bauern. Bei diesen wird anerkannt, dass sie eine gemeinwirtschaftliche Leistung erbringen und für das öffentliche Wohl Nahrungsmittel herstellen, auch wenn das nicht immer sehr gewinnbringend ist. Deshalb werden sie vom Staat unterstützt. Beim Journalismus gibt es eine Parallele. Er ist in der Schweiz dazu da, die Demokratie am Laufen zu halten – Stichwort «4. Gewalt» – und auch das sollte dem Staat eine gewisse Unterstützung wert sein.
Viele Experten sagen, dass gerade die klassischen Zeitungsverlage an der Finanzierungskrise selber schuld sind, weil sie die Digitalisierung verschliefen und zudemwenig Innovationskraft haben. Auch in der Schweiz verdienen die grossen Medienkonzerne ja nicht mit Journalismus ihr Geld, sondern zum Beispiel mit Kleinanzeigen. Ist unsere Branche bequem und schwerfällig?
Nein, das sehe ich nicht so. Journalismus ist ein Gut, das sehr leicht angreifbar ist. Wenn sie Arzt sind, kommt kein Gärtner und behauptet, er sei auch Arzt. Viele Berufe sind durch ihre spezifische Ausbildung geschützt. Im Journalismus ist das anders. Jeder Leserbriefschreiber fühlt sich ja immer auch irgendwie als Journalist, weil er eine Meinung äussert, ungeachtet, dass dies mit unseren handwerklichen Kriterien nichts zu tun hat. Mit dem Aufkommen der sozialen Medien ist dieses Gefühl noch viel stärker geworden, weil viele Leute nicht wissen, wieJ ournalismus funktioniert, dass er regelbasiert arbeitet, dass es einen Ehrenkodex gibt, einen Fakten-Check. Da sind wir wieder beim Kapitel Aufklärung ...
... und beim Versagen des Journalismus.
Ja, vielleicht waren wir lange Zeit zu hochnäsig und vernachlässigten diese Aspekte. Aber spätestens jetzt sollten wir erwachen.
Wenn wir uns in den Onlinedaten anschauen, was die Menschen interessiert, dann müssen wir feststellen, dass wir viele Jahre an unseren Kunden vorbeigeschrieben haben und vielfach über die falschen Themen berichteten. Sehen Sie das auch so? Oder haben sich die Ansprüche der Menschen geändert?
Ich denke, beides stimmt. Früher hatten wir ja keine Daten, und da sass man in der Redaktionssitzung und sagte, das müssen wir machen, das interessiert. Das waren aber nur subjektive Einschätzungen, reines Bauchgefühl. Das ist heute anders. Heute wissen wirdurch die Daten viel mehr. Das ist ein Fortschritt, aber– und hier muss ich ein grosses Aber machen: Ist
denn wirklich nur das berichtenswert, was eine Mehrheit interessiert? Es braucht auch Sparten- und Minderheitenangebote.
Tatsächlich schicken wir zwei Redaktoren drei Tage lang zuden Sessionen des Grossen Rats. Die produzieren jeden Tagmindestens eine Zeitungsseite, und wir sehen online, dass diese Artikel fast niemanden interessieren. Ist diese Art der Berichterstattung noch zeitgemäss?
Ich kann mich gut an die Proteste erinnern, als die NZZ damit aufhörte, seitenweise die Debatten in den eidgenössischen Räten zu protokollieren. Ich bin überzeugt, das hat ausser denen, die im Protokoll vorkamen, niemand gelesen. Und trotzdem sprachen Medienwissenschaftler von einer Katastrophe. Daraus ergibt sich ein grosser Spagat für die Redaktionen. Ich bin überzeugt, man darf den Grossen Rat nichteinfach ignorieren, sondern die Journalisten müssen die Themen bringen, die die Leute wirklich interessieren. Das sind vielleicht zwei Themen pro Session. Diese Veränderung ist aber nicht unkritisch, denn viele Politiker werden verärgert sein, wenn ihr Redebeitrag nicht mehr erwähnt wird, und schlecht über die Zeitung reden. Da müssen die Redaktionen auch kreativ sein, um ihrer Übersetzerrolle gerecht zuwerden.
Sie haben ja anfangs schon mal das Thema KI erwähnt. Esist sicherlich die grösste Herausforderung für uns Medien.I n der Gesellschaft gibt es mehrheitlich Misstrauengegenüber KI-generierten Inhalten. Wird es am Ende so eine Art journalistisches Qualitätssiegel geben? «Dieser Inhaltwurde von einem Menschen geschrieben.»
Die Uni Zürich hat ja herausgefunden, dass zwei Drittel der Menschen skeptisch gegenüber generativer KI im Journalismus sind. Das hat mich sehr erstaunt, ich hätte erwartet, dass die Menschen da gleichgültiger sind. Es kann deshalb natürlich sein, dass die Euphorie
um KI im Journalismus auch wieder einmal zurückgeht. Aber das weiss ich nicht. Fragen Sie gerne
in ein paar Jahren noch mal nach.
Joachim Braun Jahrgang 1965, ist Leiter Digitale Transformation der Medienfamilie und gemeinsam mit Reto Furter Leiter der Chefredaktion. Mit 17 Jahren verlor er als freier Mitarbeiter beim «Tölzer Kurier» sein Herz an den Lokaljournalismus und blieb ihm die nächsten Jahrzehnte treu, erst als investigativer Reporter und Lokalchef, später als Chefredaktor in Bayreuth, Frankfurt und Ostfriesland. Der dreifache Grossvater ist überzeugt davon, dass sich auch seine Enkelkinder noch für Journalismus interessieren werden – allerdings für einen völlig anderen, als wir ihn heute kennen.