© Til Bürgy, Keystone-SDA
Lehrkräfte aller Schulstufen stehen zunehmend vor der Herausforderung, dass ihre Schülerinnen und Schüler Nachrichten vor allem über soziale Medien konsumieren. Doch im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz (KI) wird es immer schwieriger, zwischen Wahrheit, Manipulation und Fälschung zu unterscheiden. An der zweiten Nationalen Nachrichtenkompetenz-Tagung waren sich die Teilnehmenden im Grundsatz einig, dass in der Schweiz ein dringlicher Bedarf besteht, Jugendliche innerund ausserschulisch in einer kritisch-reflektierten Mediennutzung zu fördern.
Die Tagung, die am Freitag, 21. März 2025, an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) stattfand, wurde vom Verein UseTheNews in Zusammenarbeit mit dem Institut für Angewandte Medienwissenschaften (IAM) organisiert. Die Veranstaltung brachte rund 150 Lehrkräfte sowie Vertreter:innen aus Bildung, Wissenschaft und Medien zusammen, um über aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze im Bereich der Nachrichtenkompetenz zu diskutieren. Die Tagung umfasste neben Referaten und Paneldiskussionen auch 11 Breakout-Sessions und Co-Creation-Workshops. Sie richtete sich vor allem an Lehrpersonen Sek I und II sowie Bildungsfachleute.
Erfrischende Perspektiven und Herausforderungen der sozialen Medien
Ein Highlight der Tagung war der Auftritt von Jodok Vuille, besser bekannt als «Jodokcello». Der ehemalige Musik- und Sportlehrer, der heute als TikTok- und Instagram-Star mit Millionen von Followern eine neue Generation erreicht, hatte eine überraschende Botschaft: «Kein Handy bis 12 – und geht in die Natur, pflegt Freundschaften!» Vuille berichtete von seinen eigenen Erfahrungen mit Fake-Accounts, die in seinem Namen ahnungslose Fans in die Irre führten. Dies habe ihn gelehrt, sehr vorsichtig mit seinen persönlichen Informationen umzugehen. Er betonte zudem, dass eine kritische Auseinandersetzung mit sozialen Medien und die bewusste Nutzung von Technologie bereits im Kindesalter beginnen müsse.
Schule und digitale Medien – ein komplexes Zusammenspiel
Die Diskussion um den Umgang mit digitalen Medien im Unterricht wurde in einem Panel zwischen Kaspar Vogel, Sekundarschullehrer, Lea Thalmann-Truniger, Gymnasiallehrerin, und Georg Berger, Direktor des Berufsbildungszentrums Olten, lebhaft geführt. Dabei wurde klar, dass es keine universelle Lösung für den Umgang mit digitalen Medien gibt. Während Thalmann den Einsatz von Handys und Tablets im Unterricht unterstützt und gute Erfahrungen damit gemacht hat, plädiert Vogel für ein Handy-Verbot. Besonders im Kontext von Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen Familien sieht er das Handy oft als einzige Möglichkeit, sich mit der Aussenwelt zu verbinden, was jedoch auch Risiken birgt, etwa in Bezug auf problematische Informationen zu aktuellen Ereignissen wie dem Gaza-Krieg.
Berger hob hervor, dass viele Jugendliche in der Berufsbildung durchaus die Fähigkeit besitzen, Informationen kritisch zu hinterfragen, jedoch oft Schwierigkeiten haben, zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden. Dies verdeutliche den Bedarf an gezielterer Förderung der Nachrichtenkompetenz in der Schule.
Lesefähigkeit als Schlüsselkompetenz
Thomas Feibel, Jugendbuch-Autor und Journalist, brachte eine neue Perspektive ein, indem er Lesefähigkeit als zentralen Bestandteil der Nachrichtenkompetenz hervorhob. Seiner Ansicht nach geht es nicht beim «Lesen» nicht nur um das von Büchern oder Zeitungen, sondern auch um das kritische Verständnis von digitalen Medien, sozialen Netzwerken und Daten. Feibel appellierte an eine ganzheitliche Medienbildung, die bereits im Kindergarten beginnen und bis zum Schulabschluss fortgesetzt werden sollte. Ein generelles Verbot von Handys, wie es in einigen Ländern diskutiert wird, hält er für den falschen Ansatz. Vielmehr müsse der richtige Umgang mit Medien vermittelt werden.
Die Rolle von Schule, Elternhaus und Gesellschaft
Die Dringlichkeit, die Nachrichtenkompetenz in der Schule zu fördern, wurde auch im zweiten Panel unterstrichen. Ute Heckroth, Lehrerin an einer Berufsschule, Jenny Kitzka von «YouMedia», Beat A. Schwendimann, Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle des Dachverbands der Lehrer:innen, und Flurin Senn von der PH Zürich betonten, dass es eine gemeinsame Verantwortung von Schule, Elternhaus und Gesellschaft sei, Medienkompetenz zu fördern. Schwendimann plädierte für eine bessere Vernetzung der Akteure und warnte davor, Medienkompetenz nur als «Medien und Informatik»-Thema zu verstehen. Ein isolierter Ansatz sei nicht ausreichend, es sei eine fächerübergreifende Behandlung angezeigt. Heckroth verwies ihrerseits auf das Zeitproblem, das sich Lehrpersonen stelle.
Die Panelisten war sich einig, dass ein generelles Handy-Verbot wenig zielführend sei. Vielmehr sollte der Einsatz von digitalen Medien im Unterricht angepasst und verantwortungsvoll erfolgen. Schwendimann mahnte an, eine einheitliche Regelung mindestens auf Schulkreisebene aus praktischen Gründen anzustreben – auch mit Blick auf Eltern mit mehreren schulpflichtigen Kindern.
Die Rolle von KI in der Medienwelt
Ein faszinierendes Beispiel für die Macht der Künstlichen Intelligenz zeigte der Winterthurer Künstler und Cartoonist Ruedi Widmer. Mit KI-Programmen generierte er aus einem Foto der Skyline von Manhattan immer wieder neue, realitätsverfälschte Bilder – von venezianischen Gemälden bis hin zu IKEA-Möbellandschaften oder einer Auslage von Parfum-Flacons. Das Experiment verdeutlichte, wie schnell und täuschend realistisch digitale Bilder manipuliert werden können. Aber auch, welch absurde Ergebnisse Midjourney und Co. nach nur einigen Prompts produzieren.
Fazit und Ausblick
Die zweite Nationale Nachrichtenkompetenz-Tagung verdeutlichte einmal mehr, dass es an Schulen und in der Gesellschaft insgesamt einen dringenden Handlungsbedarf gibt, um Jugendlichen einen verantwortungsvollen und kritischen Umgang mit digitalen Medien und Nachrichten zu vermitteln. Zwei Stunden «Medien und Informatik», wie es der Lehrplan21 vorsieht, reichen dafür nicht aus. Es braucht eine umfassende und kontinuierliche Medienbildung, die alle Akteure – Schule, Elternhaus, Medien und Politik – einbezieht.
UseTheNews
UseTheNews ist für die ganze Schweiz der Treffpunkt für alle, die Praxiserfahrung, Workshops,
Lehrmittel, Weiterbildungsangebote oder Expertisen zu Nachrichtenkompetenz suchen, anbieten
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Hinter der Initiative steht der gemeinnützige Verein UseTheNews (Schweiz). Er wird von Keystone-
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von der Stiftung Mercator Schweiz und der Volkart Stiftung unterstützt. An der Initiative beteiligen
sich viele Partnerorganisationen und Bildungsinstitutionen aus der ganzen Schweiz.
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